Du musst nur entscheiden, was Du mit der Zeit anfangen willst, die Dir gegeben ist ...
Optimiert für IE8.x und FF3.x
Auflösung mind. 1024*768 Pixel
„Entscheide dich: ich oder deine Mutter!“ Krachend fliegt die Tür ins Schloss. Unser erster Urlaubstag. Morgen wollten wir in die Toskana starten. Zum ersten Mal wieder nach vielen Jahren ohne die Kinder und vor allem ohne Mutti. Nach Vatis Tod war sie immer dabei. In diesem Jahr, wir wollten unseren 20. Hochzeitstag im Urlaub feiern, hat Mutti sich erboten mit dem Hund zu Hause zu bleiben. Toll! Walter und ich haben ihr natürlich versichert, dass wir sie vermissen werden, aber ein Urlaub ohne Hund wäre schon immer unser Traum gewesen. Und nun heute Morgen Muttis Anruf: „Kinderchen, ich kann doch mit, Frau Wissmer nimmt den Hund. Sie liebt ihn doch so. Ich bin schon beim Packen.“ Vor Schreck ist mir nichts anderes eingefallen, als „ach, ja?“ Walter fing sofort an zu toben. Ja, und dann dieses: „ich oder deine Mutter!“
Der Frühstückstisch grinst mich höhnisch an. Ich hatte extra einen Apfelkuchen gebacken, Sahne geschlagen, sozusagen als süßen Auftakt für unsere Traumreise zu zweit. Jetzt kann nur noch Ulla helfen, sie muss mit Mutti sprechen. Ich bringe es einfach nicht über mich, ihr zu sagen, dass wir sie nicht dabei haben wollen.
Natürlich ist Ulla bereit, Mutti behutsam klar zu machen, dass sie diesmal nicht mit könne, Ach, wenn ich Ulla nicht hätte! Eine Stunde nach unserem Gespräch klingelt das Telefon. Mutti ist dran, ich solle sie nicht falsch verstehen, aber sie könne nun doch nicht mit, Frau Wissmer hätte es sich anders überlegt. Ulla! Du hättest in den diplomatischen Dienst gehen sollen! Genial, wie du das hingekriegt hast. Niemand ist gekränkt, alle haben das Gefühl sich aufzuopfern, oder zumindest beinahe aufgeopfert zu haben. Walter nickt zufrieden und meine Schuldgefühle würge ich einfach ab.
Am nächsten Morgen starten wir in aller Frühe. Walter ist so gut gelaunt, dass auch ich mich anstecken lasse. Als wir nach drei Stunden Fahrt unsere Picknicktasche auspacken, fühle ich mich fast wieder wie die junge Frau vor 20 Jahren, die mit ihrem brandneuen Ehemann im klapprigen Uralt-Ford auf Hochzeitsreise geht.
Die zwei Wochen vergehen wie im Fluge, doch jetzt freuen wir uns auf Zuhause, haben Sehnsucht nach unseren Lieben. Der Empfang ist so liebevoll, dass sogar Walter feuchte Augen bekommt. Mutti hat einen traumhaften Kaffeetisch gedeckt, die Kinder haben ein Transparent gemalt mit der Aufschrift: „Viel Glück für die nächsten 20 Jahre!“ und der Hund heult vor Freude so laut, dass die Nachbarn in den Garten gelaufen kommen, weil sie ein schreckliches Unglück vermuten.
Am nächsten Tag treffe ich Ulla. Ich will ihr noch einmal danken. Sie freut sich über die hübsche Schale aus Florenz. Aber dann wird sie ernst. Sie meint, Mutti sei noch viel zu mobil, um schon aufs Altenteil abgeschoben zu werden. Sie hat sich auch schon etwas ausgedacht: eine Kontaktanzeige. So was wie: flotte Endsechzigerin ist es leid, als Blitzableiter und Putzfrau ihrer Lieben verschlissen zu werden und sucht netten Partner für gemeinsame Unternehmungen. Oder: Mit Ende sechzig schon zu alt für Spass? Wer hat Lust mit mir Pferde zu stehlen? Oder...oder...oder..., die Einfälle werden immer besser und nachdem wir uns getrennt haben, mache ich mich sofort auf den Weg zur Zeitung und gebe eine Anzeige unter Chiffre auf.
Offensichtlich gibt es eine Menge alter Knaben, die gern mit einer Endsechzigerin Pferde stehlen wollen. Als ich vier Tage später in der Zeitungsagentur vorspreche, überreicht man mir einen dicken braunen Umschlag. Ich damit natürlich sofort zu Ulla und als die das Riesenpaket sieht, holt sie erst einmal eine Flasche Cognac. Sie vermutet, dass wir uns auf Allerlei gefasst machen müssen. Wie Recht sie hat.
Beim Sortieren der Zuschriften ergibt sich eine Unterteilung in drei Kategorien. Die erste: unverschämter alter Hund, sucht Pflegerin und Putzfrau ohne Gegenleistung. Die zweite: armer alter Hund sucht Unterschlupf und bietet dafür Gesellschaft beim allabendlichen Saufen vorm Fernsehapparat. Die dritte: arroganter alter Hund, erkundigt sich nach Konfektionsgröße, Bildungsstand und Vermögensverhältnissen. Übrig bleibt ein einziges Schreiben mit dem Foto eines männlichen Menschen unbestimmbaren Alters in Wanderkleidung. Dazu eine Karte mit Telefon-Nummer und den Zeilen: würde mich über Ihren Anruf freuen. Hans Reiner. Ulla und ich schauen uns verduzt an. Der gibt wirklich nichts von sich preis. Aber nach all den anderen wirkt es fast seriös. Wir beschließen gleichzeitig: das ist er! Wir werden ihn erst beschnuppern und stellen ihn Mutti dann als alten Bekannten vor. Cafe Rose ist Treffpunkt. Wir sind so aufgeregt, als seien wir die Kandidatinnen.
Meine vielen Bedenken zerstreut Ulla mit dem Argument, dass Mutti nichts weiter als einen Gutschein auf einen Mann geschenkt bekommt. Sie kann ihn einlösen kann oder auch nicht. Hans Reiner weiß, dass es um meine Mutter geht. Vielleicht ist er deshalb so locker. Immer noch in Wanderklamotten ist er ganz Naturbursche. Gegerbte Haut, buschige Brauen, gelichtetes Haupthaar. Besonders gefallen mir die Hände, groß und kräftig. Passen gut zu Mutti, die hat auch Hände zum Anpacken. Meine Fantasie entwickelt schöne Bilder: Mutti und Hans Reiner Hand in Hand beim Wandern, Mutti und Hans Reiner beim Rotweintrinken in einer urigen Berghütte, Mutti und Hans Reiner beim Nudelkochen, Mutti und Hans Reiner beim..., na, ja, ich will den beiden nicht alle Entscheidungen vorgeben, auf jeden Fall habe ich ein gutes Gefühl. Kann es kaum erwarten, die beiden zusammen zu bringen.
Das alles ist nun fast ein Jahr her und Mutti und Hans Reiner sind tatsächlich ein Paar geworden. Sind sie glücklich? Zum Pferdestehlen ist es noch nicht gekommen, aber sie ergänzen sich wunderbar. Muttis Hände zum Anpacken haben jede Menge zu tun und Hans Reiners kräftige Hände packen gut zu, wenn Mutti ihn zu Tisch oder zum abendlichen Rotwein bittet. Hans Reiner hat Muttis gemütliche Wohnung umdekoriert, seine Jagdtrophäen und Ölschinken mit Bergmotiven aufgehängt, die Mutti abstauben kann. Mutti wiederum hat endlich einen Zuhörer, kann ihrer Erzählfreude freien Lauf lassen, denn Hans Reiner ist fast taub und kann dabei lächelnd seinen eigenen Gedanken nachhängen. Ja, die beiden passen gut zu einander.
Nur Walter ist eifersüchtig, beklagt sich, dass Mutti nicht mehr ohne diesen dämlichen Hans Reiner zu uns kommt.
Zitat 99(228):Was du ererbst von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen
Goethe
© pieces-of-poetry.com