Du musst nur entscheiden, was Du mit der Zeit anfangen willst, die Dir gegeben ist ...
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Ach, Rudi, Liebling! Dein Aftershave duftet himmlisch!
Ulrike streckt sich auf Zehenspitzen, um seine frisch rasierte Wange zu küssen.
„Nicht jetzt!“ Unwirsch wehrt Rudi ab, er kämpft mit einem widerspenstigen Hemdenknopf.
Enttäuscht läuft Ulrike ins Esszimmer. Die Kaffeemaschine ist schon eingeschaltet. Schnell noch einen Blick auf den liebevoll gedeckten Frühstückstisch, die Sonntagszeitung geraderücken, das Blumensträußchen auflockern. Rudi erscheint. Wohlwollend betrachtet er den einladenden Tisch. Ulrike gießt Kaffee ein. Ein Stückchen Zucker, ein kleiner Schubs Milch, alles perfekt. Mit einem Seufzer der Zufriedenheit greift Rudi nach der Zeitung. Er stockt, - „Ulrike!“ – seine Stimme ist scharf – „Ulrike!, du hast in der Zeitung gelesen! Du weißt, ich hasse angelesene Zeitungen!“ „Nei.., nein, nur einmal ganz kurz hineingeschaut.“ – Wie oft wurde dieses Gespräch schon geführt. Es endet immer gleich. Rudi stellt bekümmert fest, dass nicht einmal der kleinste, unschuldigste Wunsch respektiert wird. An schlechten Tagen steht er sogar auf ohne gefrühstückt zu haben, macht sich wortlos den Weg zu seinem Stammtisch. Auch diesmal holt er anklagend Luft, aber, Gott sei Dank, das Telefon klingelt. Erleichtert läuft Ulrike ins Nebenzimmer. Vielleicht ein freundliches Sonntagvormittags-Gespräch? Doch nein, eine schreckliche Nachricht: Rosemarie, Ulrikes beste Freundin, hatte einen schlimmen Unfall. Sie liegt auf der Intensivstation. Rosemaries Mann ist verzweifelt, bleibende Schäden können nicht ausgeschlossen werden. Ulrike will Rudi von dem Unglück erzählen, bittet ihn zum Telefon. Aber Rudi winkt ärgerlich ab: „Nicht jetzt, du siehst doch, ich lese!“
Ulrike verspricht Rosemaries Mann, schnell in die Klinik zu kommen. Aber erst muss sie sich beruhigen. Die Sorge um die Freundin und Rudis Benehmen treiben ihr die Tränen in die Augen. Sie wäscht das Gesicht mit kaltem Wasser. Aus dem Spiegel schaut ihr ein trauriges Kleinmädchengesicht entgegen. Weiche Züge, erstaunte blaue Augen und ein in letzter Zeit immer häufiger zusammengekniffener Mund, der doch vor noch gar nicht langer Zeit so unbeschwert lachen konnte. Ulrike beschließt, in Zukunft mehr für ihr Aussehen zu tun, holt Handtasche und Autoschlüssel aus der Garderobe und schaut zu Rudi ins Esszimmer: „Ich fahre zu Rosemarie in die Klinik“. Rudi ist fassungslos: „Du kannst mich doch nicht einfach im Stich lassen, nicht jetzt! Du weißt, ich will heute die Dachrinne reinigen. Du mußt mir helfen, die Leiter halten während ich hinaufsteige. Dann kannst du meinetwegen losziehen.“ Rudi holt Werkzeug und Leiter, Ulrike bleibt, bis Rudi in gleicher Höhe mit der Dachkante ist. „Bis nachher!“ – schnell läuft sie zum Auto, schaut noch einmal zurück, Rudi stochert mit einem Besen in der Rinne. Ulrike steigt ein, läßt den Motor an, startet durch. Aber was ist das? Langsam neigt sich die Leiter mit Rudi zur Seite.
Rudi schreit: „Ulrike!“
Ulrike gibt lächelnd Gas: „Nicht jetzt!“
Zitat 21(228):Das Verhängnis unserer Kultur ist, daß sie sich materiell viel stärker entwickelt hat als geistig.
Albert Schweitzer
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