Du musst nur entscheiden, was Du mit der Zeit anfangen willst, die Dir gegeben ist ...
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"Yogyba" war der Titel der Anzeige und stach mir sofort ins Auge. Yogyba, das stand für Yoga-Gymnastik-Bauchtanz und war ausdrücklich ausgeschrieben für Frauen jeden Alters.
Jahre, nein jahrzehntelang, hatte ich insgeheim mit "Ba" geliebäugelt, ohne dass sich eine Teilnahme ergeben hätte, sei es mangels Zeit oder weil es vielleicht doch irgendwie zu provozierend war, und überhaupt, mein Bauch war für mich eher ein Stein des Anstoßes, den ich mit über der Hose getragenen Pullis zu kaschieren suchte, als ein Körperteil, welchen ich bewußt und mit voller Absicht den Blicken Dritter aussetzen würde. Mit, zugegeben, leiser Wehmut schlug ich mir den hin und wieder in mir aufkeimenden Wunsch jedesmal wieder aus dem Kopf. Und dann, naja, dann war ich eigentlich sowieso zu alt dafür. Aber wie gerne sah ich, wenn sich die Gelegenheit bot, den Darbietungen türkischer, ägyptischer und indischer Frauen zu, die selbstbewußt und geschmeidig ihre Körper zu orientalischen Klängen wiegten und bogen. Hüften, Bäuche und Brüste führten ein Eigenleben und schwangen und vibrierten völlig unabhängig voneinander. Und selbst die wohlbeleibten Frauen setzten ihre Speckrollen so gezielt und gekonnnt ein, dass es mich faszinierte. Unästhetisch? Nein, mitreißend und erotisch.
Ja und dann kam mir diese Anzeige "Yogyba" unter, und ich wußte, das war genau mein Ding. Naja, ich hoffte es wenigstens. Zumindest konnte ich mal in die angebotene kostenlose Probestunde reinschnuppern.
In letzter Minute doch etwas bang im Herzen, begab ich mich mit mulmigem Gefühl und Gymnastikanzug in die physiotherapeutische Praxis, die den Kurs anbot. Christine, die Kursleiterin, gab gerade der nüchternen Turnhallenatmosphäre mittels Kunstpalmen, schillernden Tüchern und Bildern mit Camel-Kamelen und den Pyramiden von Gizeh einen orientalisch anmutenden Anstrich. Eine CD mit entsprechender Musik unterstrich diese ihre Bemühungen. Dann kamen die Frauen, die gleich mir auch erst mal schnuppern wollten. Alle duzten sich, stellten sich vor und wurden von Christine gleich mit gymnastischen Übungen (dem "Gy") aufgewärmt und gelockert. Es folgte ein wenig "Yo" zur Entspannung, während der unser Yogi-Tee, der fester und duftender Bestandteil unseres wöchentlichen Rituals wurde, durchzog. Wir saßen um eine Turnmatte, mit Mond-und-Sterne-Muster-Tuch verschönt, schlürften den aromtischen Tee und lernten uns gegenseitig ein wenig kennen: Angelika, Christiane, Gisela, Ute, usw. Dann ging's zur Sache, Christine legte sich ein wunderschönes perlenbesticktes Tuch um die schmalen Hüften und präsentierte uns eine Kostprobe von dem, was wir, wer weiß nach wie langer Zeit, vielleicht auch einmal beherrschen würden, wenn wir nur fleißig übten. Sie machte uns Mut: "Jeder, wirklich jeder, ob dünn oder dick, ob jung oder alt, kann Bauchtanz lernen". Der Rest der Stunde verging wie im Flug mit eckigen und linkischen Versuchen, das Becken kreisen und die Hüfte kicken zu lassen. Aber am Ende waren wir uns alle einig, weiterzumachen…
Jetzt sind wir schon im Kurs "Fortgeschrittene Anfänger", und ich freue mich jedesmal auf unsere Freitagsstunde. Die Fortschritte sind unverkennbar, auch wenn das Üben zuhause mal etwas vernachlässigt wird. Der Spiegel zeigt mir, dass mein Shimmy schon ganz wie ein solcher aussieht, zumindest im Stand. Sobald ich allerdings versuche, mich dabei fortzubewegen, hören die Hüften auf zu vibrieren und die Pobacken auf zu flattern. Aber das krieg ich schon noch hin. Das verkrampfte Gesicht muss ich mir auch noch abgewöhnen. Die Handbewegungen entbehren zwar noch der erforderlichen Eleganz (sehen etwa aus wie bei einem Errinkenden, der sich zu retten versucht), dafür finde ich meinen Hüftkick nahezu professionell. Der Drop ist fast perfekt, und das Becken kreist nicht mehr so eiförmig wie am Anfang der Bemühungen. Zu erwähnen bleibt noch, dass mein ehemals ungeliebter Bauch von mir jetzt akzepiert wird.
Zur Zeit bemühen wir uns, die einzelnen Abläufe unserer ersten Choreographie in Kopf und Bauch zu bekommen. Christine hat hierfür eine besonders peppige Musik ausgesucht. Es macht wirklich großen Spaß, die gelernten Schritte und Bewegungen miteinander zu kombinieren, auch wenn ich mal vergesse, ob jetzt der Sirtakischritt kommt oder erst der arabische Grundschritt, auch wenn ich mal rechts und links verwechsle. Dass ich die Seniorin in unserem Kurs bin, stört mich längst nicht mehr.
Vielleicht kann ich jemandem Mut machen, der "eigentlich schon immer wollte, sich aber nicht richtig getraut hat". Im Mai ist übrigens unser erster Auftritt, falls jemand kommen möchte…
Zitat 186(228):Jetzt sind die guten alten Zeiten, nach denen wir uns in zehn Jahren zurücksehnen.
Peter Alexander Ustinov
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