Du musst nur entscheiden, was Du mit der Zeit anfangen willst, die Dir gegeben ist ...
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Ja, ich gebe es zu: ich bin nicht tierlieb! Nicht, dass ich Tiere nicht interessant, wunderschön und in vielen Fällen sehr nützlich und schmackhaft fände. Im Gegenteil, der Zoo ist eines meiner Lieblings-Ausflugsziele, ich lasse kaum einen Tierfilm im Fernsehen aus, die Grazie von Gazellen, von Wildkatzen und schwebenden Vögeln versetzt mich in Entzücken, ungläubig staune ich über die Mächtigkeit von Nilpferden, Elefanten und Nashörnern und das machistische Verhalten der Pavianältesten auf dem Affenfelsen kann mich stundenlang fesseln und weckt die lustigsten Assoziationen mit Menschenmännchen. Bei Besuchen im Aquarium erinnere ich mich voller Rührung an die arglose Frage meines damals 3-jährigen Sohnes beim Anblick eines prachtvollen Zitronenbarsches: Mama, ist der lecker? Nein, nein, Tiere sind ein wichtiger Bestandteil meines Universums, ich möchte sie auf keinen Fall missen, nur will ich nicht mit ihnen in einem Zimmer zusammenleben. Ich will sie nicht in meinem Bett, auch nicht auf meinem Bettvorleger finden. Ich spreche ihnen jegliche Liebesfähigkeit ab und will mich nicht durch ihre Abhängigkeit zu irgendwelchen Dienstleistungen erpressen lassen.
Nun wollte aber ein hinterhältiges Schicksal, dass ich in einer Familie lebe, die durchweg aus Tierfreunden besteht. Alle Arten von Tieren wurden und werden angeschleppt, geliebt, in Käfige gesperrt und zu Tode geschmust. Unser Garten ist ein Massengrab. Welch kummervolle Minuten durchlebten meine Kinder, wenn wieder eine Schildkröte, ein Meerschweinchen, Vögelchen oder eine Eidechse am Morgen tot im Käfig lag. Wie liebevoll wurden Schuhschachteln zu Särgen umfunktioniert, wie erhebend waren die mit großem Ernst zelebrierten Beerdigungszeremonien. Heute sind meine Kinder erwachsen, ihre Tierliebe hat allerdings noch zugenommen. Bei meiner Tochter sogar in einem so starken Maße, dass ich bei jedem ihrer Anrufe fürchten muss, sie wird mir gleich von der Anschaffung eines neuen Haustieres berichten. Eben haben wir miteinander telefoniert. Na, wenigstens kein weiteres Tier. Eine Bitte: ob ich sie zum Tierarzt begleiten kann. Pimpelchen, das belgische Riesenkaninchen hat eine scheußliche Krankheit. Am ganzen Körper tennisballgroße Beulen. Es lebt in einem großen Käfig, der nur von zwei Personen getragen werden kann. Natürlich komme ich mit, tut mir ja auch leid. Ich hoffe für das arme Geschöpf auf eine Todesspritze. Das Wartezimmer der Tierarztpraxis ist bei unserem Eintreffen noch leer, aber schon bald erscheint der nächste Patient. Laut schnüffelnd, die Nase am Boden, strebt er geradewegs auf unseren Käfig zu. Ein Jack Russel Terrier. Klein und sehr muskulös. Er hebt den Kopf erst kurz vor dem Käfig. Erstaunt über einen solchen Riesen stellt er sicherheitshalber sein Nackenhaar auf und knurrt leise. Meine Tochter spricht beruhigend auf Pimpelchen ein. Endlich zieht der Herr dieses Energiepakets die Leine straffer und ruft es zu sich: Cindy! - also ein Weibchen - bellt verärgert. Ein unentschiedener Kampf zwischen Herr und Hund beginnt, Cindy zieht nach vorn, Herrchen zurück. Man erkennt allerdings, wie stolz er auf seine widerspenstige Cindy ist. Er redet ihr gut zu: Cindy, das Kaninchen ist nicht zum Fressen, das ist ein Schmusetierchen. Beifallheischend schaut er zu uns herüber, aber richtig beliebt macht er sich nicht damit.
Plötzlich ertönt von draußen wildes Bellen unterbrochen von grauenvollem Röcheln. Das muß ein riesiges Tier sein. Herein stürmt ein kleines schwarz-braunes Bällchen. Noch ein Jack Russel. Mitten im Raum bleibt er stehen, breitbeinig, siegessicher. Endlich erscheint am anderen Ende der Leine seine Herrin. In einer schlimmen Kaskade brodelnden Hustens kann man die Worte: Rambo, du kleiner Wildling, sei brav! - ausmachen. Gott sei Dank, kein Bär, nur eine arme Kettenraucherin von enormer Körperfülle. In einer entlegenen Ecke des Wartezimmers nimmt sie Platz. Rambo hat Cindy entdeckt. Er ist entzückt, stößt ein herzerweichendes Winseln aus, geht leicht in die Knie und zieht mit aller Kraft in Cindys Richtung. Cindy ist ebenfalls interessiert, man beschnuppert sich, Rambo leckt Cindy liebevoll am Öhrchen, erntet aber nur ein kokett unwilliges Knurren. Wir alle verfolgen begeistert Rambos Liebeswerben. Besonders erheitern die anfeuernden Zurufe von Rambos Frauchen: Na, los, kleiner Adonis, zeig was du für eine toller Typ bist! Rambo umtanzt Cindy mit allen Gebärden des gockelnden Männchens und, wer weiß, ob er nicht Erfolg gehabt hätte, wäre nicht in diesem Augenblick ein wunderschöner silbergrauer Husky erschienen. Der verharrt einen Moment im Türrahmen, seine gletscherblauen Augen gleiten flüchtig über die Mischpoke im Wartezimmer, dann tritt er ein und wir erkennen an der Leine hinter ihm seine ebenfalls silbergraue Herrin. Ein schönes Paar! Alle Augen sind bewundernd auf die beiden gerichtet, auch Cindy hat den Silbernen entdeckt. Ein Ruck geht durch den kleinen Körper. Jetzt ist sie es, die ein melodisches Winseln ausstößt. Mit schlängelnder Grazie kriecht sie zu ihm hin. Der Silberne bleibt unbeweglich, neigt nur den Kopf ein wenig zur Seite und schaut Cindy erstaunt an. Hat er die Augenbrauen leicht angehoben? Cindy zeigt ihre Begeisterung ganz unverhohlen, aber der Einzige, der darauf reagiert, ist Rambo. In rasender Wut will er den Nebenbuhler anfallen, springt zu ihm hin, wird aber geistesgegenwärtig von seinem Frauchen zurückgerissen. Mitten im Sprung gestoppt, plumpst er hart zu Boden. Zum ersten Mal sehe ich ihn von hinten. Ein schrecklicher Anblick, die beiden muskulösen Hinterbacken sind von Narben durchfurcht wie ein frisch gepflügtes Feld im März. Der ganze kleine Körper zittert und sein Bellen kurbelt sich zu einem hysterischen Kreischen hoch. Gerade will ich meiner Tochter zuraunen, dass dies ein ekelhafter kleiner Macho-Köter ist, als die Raucherin mit rauher, unendlich sanfter Heiserkeit "Rambolein, mein Kleiner", flüstert. Wieviel Mitgefühl, Verständnis, ja Liebe liegt in diesem "Rambolein". Hier spricht eine Mutter zu ihrem unglücklich liebenden Sohn, eine Frau, die um die Qualen der abgewiesenen Leidenschaft weiß. Ich schäme mich meines vorschnellen Urteils.
In diesem Moment bittet uns die Sprechstundenhilfe zur Untersuchung. Es stellt sich heraus, Pimpelchen ist schwer und unbestimmbar krank, aber es soll versucht werden, ihm zu helfen. So verlassen wir mit einiger Hoffnung die Praxis. Im Wartezimmer ist wieder Ruhe eingekehrt.
Rambo und der Silberne warten draußen.
Mir geht Rambo nicht aus dem Sinn. Er ist ein Macho, ein Angeber und Raufbold, aber er kann auch leiden und in seiner verzweifelten Frechheit ist er aufrichtiger, als dieser arrogante Silberne. Sind Machos vielleicht doch die liebenswerteren Männer?
Zitat 197(228):In Deutschland ist die höchste Form der Anerkennung der Neid.
Arthur Schopenhauer
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